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12.09.23
Für Vorlesungen existieren bereits einige Hilfsmittel, die es ermöglichen die Vorlesungsfolien besser verfolgen zu können. Jedoch gibt es große Unterschiede darin, wieviel Unterstützung und welche Hilfsmittel betroffene Personen benötigen. Manche Personen benötigen eine Vergrößerungssoftware auf dem Laptop, andere ein Monokular oder auch ein Bildschirmlesegerät. Schwierig wird es auch bei anderen Lehrveranstaltungsformaten wie Seminaren, Übungen oder Praktika. Hier ist Barrierefreiheit oft nicht oder noch weniger gegeben.
Barrierefreiheit definiert sich, gemäß des Behindertengleichstellungsgesetzes folgendermaßen:
„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzungbehinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig“ (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG § 4 Barrierefreiheit).
Für eine inklusive Gesellschaft ist Barrierefreiheit unabdingbar. Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch, ob ohne oder mit Behinderung, in allen Lebensbereichen gleichberechtigt und selbstbestimmt teilhaben kann. Auch außerhalb der Universität und anderer Bildungseinrichtungen gilt daher: Kommunikationsmittel, Orte oder Räume, die nicht barrierefrei sind, sollten nicht genutzt werden, denn sie verhindern für Betroffene die Teilhabe an Freizeit, politischem und kulturellem Leben sowie der Arbeitswelt (vgl. 360°-Technik 2023).
Sehbehinderung und der Einsatz von XR-Brillen
In einem Zeitalter, in welchem Technik und Digitalisierung rasant voranschreiten, kommt die Frage auf, inwiefern XR-Brillen (XR beinhaltet AR, VR sowie verschiedene Stufen von Mixed Reality) einen Nutzen für sehbehinderte Studierende innerhalb des Studiums bieten können.
Als an Retinitis Pigmentosa erkrankte Studentin verspricht der Einsatz von XR-Brillen für mich gewisse Vorteile. Bei einem schweren Verlauf der Krankheit „Retinitis Pigmentosa“ haben erkrankte Menschen eine eingeschränkte periphere Sichtweise. Dadurch sehen sie immer schlechter außerhalb des fokussierten Bereiches. Eine Auswirkung hat dies auch auf die Tiefenwahrnehmung. Außerdem können Lichtverhältnisse die jeweilige Situation erschweren (vgl. Guthor & Reitermann 2023). Folglich ist es als betroffene Person nicht unüblich über die Rucksäcke der Kommiliton*innen zu fallen, in andere Personen hineinzulaufen, zwanzig-mal an einem gesuchten Raum vorbeizulaufen und sich allgemein in der Dunkelheit alter Unigebäude schlecht zurecht zu finden. Diese Situationen geschehen täglich, noch bevor die Lehrveranstaltungen überhaupt begonnen haben.
In den USA und Großbritannien haben sich einige Firmen inzwischen auf die Herstellung von XR-Brillen für sehbehinderte Menschen spezialisiert. Ein Beispiel hierfür ist eine Anwendung namens IrisVision. Diese wirbt damit sehbehinderte Menschen zu unterstützen (vgl. Guthor & Reitermann 2023). Doch was ist das Konzept dieser Brille? „Die Software der VR-Brille zeichnet die Umgebung des Betroffenen als Echtzeit-Livestream und nutzt einen noch funktionsfähigen Teil der Netzhaut, um die Bilder darauf zu projizieren“, so der Hersteller (ebd.). Diese Aufnahme können die Anwender*innen nun zu ihrem Vorteil nutzen und den Kontrast der Farbe verändern oder Details heranzoomen (vgl. ebd.).
Tools für den Unialltag
Im Projekt D2C2 soll die Nutzung von IrisVision oder einer ähnlichen Brille (bspw. SightPlus) im Studium erprobt werden. Gefördert wird die Anschaffung der Brille durch Sondermittel, die das SMWK 2023 bereitstellt, um die Teilhabe von Studierenden und Beschäftigten mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen an der TU Dresden weiter voranzutreiben.
In Lehrveranstaltungen könnte beispielsweise der Television-Mood genutzt werden, durch den Betroffene ihr Umfeld oder ein Gesicht fokussieren können. Hierbei öffnet sich im oberen Bildbereich ein Zoom-Sichtfenster, welches sich über die gesamte Aufnahme legt (vgl. Guthor & Reitermann 2023). Dadurch könnten Vorlesungsfolien und Tafelanschriebe besser verfolgt sowie ein genauerer Blick auf die Kommiliton*innen geworfen werden. Insbesondere im Kontext von Laboren und Werkstattformaten könnte die verbesserte Wahrnehmung der Umgebung ausschlaggebend für die erfolgreiche Teilhabe am Lehr-Lern-Geschehen sein.
Im Umgang mit größeren Texten oder Bildern kann zudem die Screenshot Funktion verwendet werden. Dabei „[…] gibt es eine Galerie, aus der heraus die fotografierten Images mittels VR-Headset (neben Text lässt sich natürlich auch alles andere von Interesse festhalten) auch zu einem späteren Zeitpunkt näher betrachtet werden können“ (ebd.). Bei der Bearbeitung kleinerer Texte steht der Reading-Mood zur Verfügung (vgl. ebd.). Diese Funktionen können gängige Geräte wie ein Monokular oder ein Bildschirmlesegerät ersetzten. Außerdem besteht die Möglichkeit Texte vom Iris-Reader vorlesen zu lassen. Die Mobilität- sowie Navigationsfähigkeiten werden durch tiefencodierte Graustufen verbessert (vgl. ebd). Somit kann beispielsweise die Orientierung in Unigebäuden erleichtert werden.
Ausblick
Erste Ergebnisse unserer Maßnahme „Mit Extended Reality zu mehr Teilhabe am Studium“ werden bis zum Ende der Projektzeit im Juli 2024 u.a. hier veröffentlicht. Eines ist jedoch bereits jetzt klar: Ein Allheilmittel ist XR nicht. Eine langfristige Verbesserung der Situation sehbehinderter Studierender ist nur durch das Schaffen eines tatsächlichen Bewusstseins für Inklusion und für die damit verbundenen Bedürfnisse von uns sehbehinderten Studierenden zu erreichen. Dennoch bieten XR- Technologien ein großes Potenzial, die Lebensumstände betroffener Menschen zu verbessern und das Studieren mit verschiedenen Tools hin zu einem barrierefreien Studium zu erleichtern.
Über die Autorin
Tara Scheuermann studiert seit 2021 Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Wohlfahrtswissenschaften an der TU Dresden. Sie arbeitet als studentische Mitarbeiterin im sachsenweiten Verbundprojekt D2C2. Mehr über D2C2 erfahren Sie unter: https://www.hd-sachsen.de/projekte/d2c2